In der
Moderneren Braugeschichte (irgendwo so ab Hälfte des 19. Jahrhundert)
unterscheiden Brauer primär zwischen zwei Hefen: Obergärige (Saccharomyces
cerevisiae) und Untergärige (Saccharomyces carlsbergensis). Der Name ober- bzw.
untergärig kommt daher, wo sich die Hefen nach der Gärung befinden: entweder steigt
sie nach „oben“ oder sie setzen sich nach „unten“ ab. Obergärige Hefen
produzieren mehr Fruchtester was dann in einem fruchtigeren Geschmack von
obergärigem gegenüber untergärigem Bier resultiert. Bin mir auch sicher, das
würden einem in Deutschland 99% der Brauer so erklären und im Glauben lassen,
mehr gibts nicht…Was man im deutsch-sprachigen raum vernachlässigt ist die spontan
Gärung. Der Grund dafür ist, dass diese in den typischen deutschen Brau-Stilen
nicht gewollt ist und sogenannte Fehlgeschmäcke hervorruft. Aus diesem Grunde
achtet der der Brauer von ober- und untergärigen Bieren penibel auf Hygiene um
auszuschliessen, dass Wilde Hefen in seiner Gärung eine Rolle spielen. Vor hunderten von Jahren allerdings, als man
noch nicht wusste wodurch die Gärung hervorgerufen wird, haben Brauer ihre
Würze offen stehen lassen und wie durch ein Wunder war es irgendwann
alkoholisch…Allerdings hatte man so auch keinen Einfluss auf die Gärung. Mit
dem zunehmenden Wissen über Hefe wurde spontan Vergärung immer unpopulärer da
sie nicht wirklich kontrollierbar ist.
Allerdings
blieb die Tradition der spontan Gärung
in Belgien bis heute erhalten, speziell in der Umgebung um Brüssel
(Senne Tal) gibt es ein paar Styles die nach wie vor auf Spontan Vergärung
setzen. Primär ist das das Lambic. Die Würze dafür wird aus Wasser, Gerstenmalz,
ungemälztem Weizen (min 30%) und Hopfen eingebraut. Nach Abschluss wird aber
keine Hefe manuell zugeführt sondern die Würze in offenen Eiche oder Kastanien
Bottichen gefüllt. Dann wartet man bis sich das Gebräu mit wilden Hefen „infiziert“
und dadurch vergärt. Diese Hefen nennt man Brettanomyces Bruxellensis oder auch
Brettanomyces Lambicus. Die Gärung ist nicht beeinflussbar und kann Monate
dauern. Danach reifen Sie weitere ein bis drei Jahre in Holzfässern und werden
dann weiter verarbeitet z.B. zu Geuze, Faro oder Fruchtbiere wie Kriek oder
Framboise. Neben den wilden Hefen spielen bei diesen sehr traditionellen Bieren
u.a. auch Milchsäure Bakterien eine Rolle. Die Biere haben einen säuerlichen Charakter
weshalb man sie auch als Sour Ale klassifiziert. Diese Biere sind geschmacklich
sehr komplex und überfordern viele Biertrinker. Während klassische ober- und
untergärige Biere sicher die weitaus höhere drinkabilty haben, sind die spontan
vergorenen ehr was für „Freaks“ (…ich kenne nicht viele die bekennende
Liebhaber sind). Wenn man aber bereit ist sich drauf einzulassen und ein wenig trainiert, dann
erweitert es den Horizont des Bier Geschmack um einiges.
In den
letzten Jahren erfreut sich jetzt die Spontan Vergärung zunehmender Beliebtheit
bei Craft Brauern, vor allem in den USA, aber auch in Skandinavien und
Norditalien. Ist es doch eine riesen Spielwiese mit viel Potential neues zu
entdecken. In dem Zusammenhang hat sich
dann auch als Kurzform die Bezeichnung Brett
für Brettanomyces etabliert (Brettanomyces Bruxellensis kann ja auch keine Sau
aussprechen!). Da Brett‘s an vielen Orten der Welt vorkommen, lassen sie sich
auch entsprechend nutzen. Es gibt Brauer die setzen ausschliesslich Bretts ein,
andere arbeiten mit einer Kombination, d.h. der Würze wird Ale (obergärige) Hefe
durch den Brauer zugeführt aber zusätzlich auf die Wilden Hefen gesetzt. Dabei kann
man entweder den Bottich offen stehen lassen und auf sein Glück hoffen oder
nachhelfen, indem man manuell Brett’s (sowie auch Milchsäure Bakterien)
zuführt.
Der
Einfluss der Hefen auf den Geschmack ist enorm und den meisten Biertrinkern
nicht bewusst. Ein typisches Beispiel ist hier das Bayrische Weizenbier. Diese
typischen Zitrus und Bananen Noten kommen von der Hefe und haben recht wenig
mit dem Getreide zu tun. Wenn man z.B. eine Sud mit 100% Gerstenmalz ansetzt
und dann aber mit typischen „Weizen Hefe“ vergärt, so würde der
durchschnittliche Biertrinker sofort denken er hat ein Weizen vor sich. Wir
stehen wir erst am Anfang der Möglichkeiten den Geschmack durch gezielten
Einsatz von neuen Hefezüchtungen zu beeinflussen. Ich persönlich glaube dass da
in den nächsten Jahrzehnten ähnliches passieren wird wie im Bereich Hopfen Neuzüchtungen
in den letzten 30 Jahren. Ich Orakel jetzt mal, da werden wir echt noch was
erleben…
Ich hab
mich mal durch ein paar spontanvergorene Biere durchprobiert und nachfolgend
meine Erfahrungen. Zunächst mal drei Biere von traditionellen belgischen
Brauereien, danach drei von modernen innovativen Brauern ausserhalb Belgiens:
- Lindemans Framboise Lambic Beer: 2.5% ABV. Dies ist ein typisches belgisches Frucht-Lambic. Als Grundlage dient ein junges (aber mindestens ein Jahr altes) Lambic, dem Himbeersaft (30%) zugeführt wird. Danach wird es in Flaschen abgefüllt und mit Champagnerkorken verschlossen, wo es dann eine zweite Gärung durchläuft. Durch die Zuführung von Saft wird ist es ehr süsslich. Beim ersten schnüffeln schiesst einem sofort der Himbeergeruch in die Nase! Bei längerem riechen kommt dann diese typische Sour Beer Note durch. Im Antrunk und Körper nimmt man eine spritzige, fruchtige Säure wahr. Im Abgang schliesslich kommt diese typische, ganz leichte Lambic Bitternote hervor. Frucht Lambics haben unter den Lambics die höchste drinkabilty und schmecken oft auch Menschen, die eigentlich kein Bier mögen. Dieses hier eignet sich als Aperitive oder spritziges Sommer Bier. Ich mag das eigentlich ganz gerne und hab immer ein paar Flaschen davon im Keller.
- Boon Kriek Lambic: 4% ABV. Auch ein typisches belgisches Frucht-Lambic. Bei Diesem hier werden zu sechs Monate altem Lambic Bier Kirschen gegeben (25%). Der Unterschied des Boon Biers gegenüber dem Lindemans von oben ist, dass ganze Früchte anstatt nur Saft zugeführt und mitvergoren wird. Das sorgt dafür, dass es trockener und weniger Süss ist. Bei diesem hier ist das Aroma von Kirsche dominant. Auch im Körper ist die Kirsche sehr präsent. Leichte süsse ist vorhanden aber nicht dominant, es ist ehr eine milde, trockene Säure spürbar. Insgesamt sind auf Früchten vergorene Lambics komplexer als die mit „nur“ Saft, dafür ist die drinkabilty geringer.
- Lindemans Gueuze (Lambic Beer): 5% ABV. Zunächst mal, was ist eine Gueuze (oder auch Geuze)? Für eine Geuze werden verschiedene Lambic Jahrgänge (in der Regel 1-3 Jahre alt) miteinander verschnitten und dann in Champagnerverkorkten Flaschen zweitvergoren. Bei klassischen Versionen wird kein zusätzlicher Zucker vor der Abfüllung zugeführt, bei modernen macht man es um die drinkabilty zu erhöhen. Oude Geuze darf es sich nur nennen, wenn ausschliesslich spontan vergorene Biere verschnitten werden. Auf jedenfalls sind diese Biere sehr karbonisiert und geprägt durch eine trockene Säure. Dieses hier verkostete ist basierend auf jüngeren Lambics (aber mindestens 1 Jahr alt) und hat Zucker zugesetzt bekommen bevor es in der Flasche zweitvergoren wurde. Der Geruch ist etwas säuerlich bis ins muffige gehend. Erinnert irgendwie an eine nasse Pferde Decke. Geschmacklich ist es dann süss/sauer und im Abgang erinnert es ein wenig an trockenen Sherry. Wie ich schon erwähnt habe, sind Geuze geschmacklich komplex. Dieses hier hat allerdings für eine Geuze eine hohe drinkability. Ist aber sicher kein Bier das die Massen hinter dem Ofen hervorlockt. Auch mich reisst es nicht vom Hocker und wenn ich ab und zu Geuze Trinke, dann lieber gleich die klassische, trockene und hochkomplexe Oude Geuze.
- Mikkeller Grassroots Wheat is the new Hops IPA (das heisst wirklich so…): 6%ABV. Es ist aus Gerstenmalz und unvermälztem Weizen gemacht und mit Citra und Centennial gehopft und hopfengestopft. Selbstverständlich mit Brett’s vergoren. Es entspricht ist von der Schüttung (eingesetztes Getreide) und der Vergärung einem Lambic ist aber vom Hopfen Einsatz her wie ein IPA. Vielleicht ein IL: India Lambic (Scherz…). Vom Geruch her denkt man sofort an ein IPA. Angenehm fruchtig. Der Geschmack allerdings ist jetzt nicht so meins. Primär Bitter, wenig Facetten. In einer Blindverkostung hätte ich es weder als IPA noch als Brett vergoren identifiziert. Einfach nur als ein Bitteres Bier. Schmeckt sehr eigen. Ich brauchs nicht noch mal.
- TO ØL Sur Amarillo: 7.5% ABV. Sour Pale Ale aus Gerste, Weizen und Hafer das mit Amarillo Hopfengestopft wurde. Bei diesem Bier wird sowohl klassische Ale Hefe als auch Brett’s verwendet. Auch Milchsäure Bakterien sind im Spiel. TO ØL ist aus Dänemark und die Jungs dahinter haben inspiriert durch Mikkel Borg Bjergsø (der Mann hinter Mikkeller) Mitte des letzten Jahrzehnts das brauen angefangen und gehören heute sicher mit zu den innovativsten Brauern in Europa. Im Aroma dieses Bieres nimmt man etwas Frucht gepaart mit milder Säure war. Auch Getreide Noten sind klar erkennbar. Dann der erste Schluck: Alter! …Holy Shit ist das Sauer!!! Bei dem Bier wird mir schlagartig klar warum ich eigentlich kein so ein grosser Fan von Sour Beer bin. Das schmeckt als hätte jemand reinen Zitronensaft ins Bier gegossen und zwar viel zu viel! Ausser Säure nehm ich nix mehr war. Wer das mag kann auch gleich ein billiges Öttinger Weizen nehmen und ordentlich Zitronensaft rein Kippen. Geschmacklich sicher nicht gross anders aber wesentlich günstiger. Ok, fair bleiben. Gibt sicher ein Publikum dafür. Einigen wir uns mal auf „Interessant“…
- TO ØL Nelson Survin: 9% ABV. Die Brauer nennen es ein Sour double IPA, ebenfalls gebraut wie das obere. Nur mit höherer Stammwürze und statt Amarillo wurde Nelson Survin zum hopfen und hopenstopfen verwendet. Es wurde ebenfalls mit obergäriger Ale Hefe und Bretts gearbeitet. Aroma enthält Zitrus und Banane, aber auch Getreide. Wirkt irgendwie frisch. Der Körper ist fein säuerlich und hat was von tropischen Früchten. Im Abgang hat es dann eine angenehme bittere die an Orangenschale erinnert, gepaart mit einer leicht holzigen aber auch schokoladigen Note. Diese Bier ist unglaublich vielschichtig (komplex)! Da gibt’s was zu entdecken. Das kann man sich durchaus mal gönnen.
Alles in
Allem war das ein spannender Exkurs in eine abgefahrene Bier Welt. Für mich
Persönlich werden mit Brett’s fermentierte Biere sicher nicht zu meinem
favorisierten Alltagsgetränk, aber wenn man mal was anderes will und sich auf
die Komplexität einlässt, kann man schon was erleben. Aber bisher haben mir die
Belgischen Traditionalisten immer mehr gegeben als die modernen Varianten von
Ausserhalb Belgiens. Denke aber da steckt Potential drin und in den nächsten
Jahren (Jahrzehnten) wird da noch so einiges passieren. Um den Post mit einem
Zitat von Mikkel Borg Bjergsø (der Mann hinter Mikkeller) zu beenden: „Spontaneously
fermented beer is the most exciting and unique beer style to brew because so
much is left to chance“
In diesem
Sinne
Eurer
hophead